Gänsehaut in Leipzig
Ein Reisebericht, geschrieben von Helga EngelBeim
Deutschen Chorfest in Leipzig (vom 26.05. – 29.05.2022) gab es mehrere Anlässe für
ein Gänsehautfeeling. Und das hatte nicht nur mit dem Wetter zu tun.
Am Vatertag, oder auch Himmelfahrtstag genannt, erfolgte auf dem Marktplatz vor dem Alten Rathaus die Eröffnungsveranstaltung zum Deutschen Chorfest 2022. Unter strahlend blauem Himmel versammelte sich eine große Schar sangeslustiger Menschen vor der großen Bühne und bekam den ersten musikalischen Eindruck geboten: ein Jugendchor sang Teile aus „Carmina burana“ und von „Queen“ Teile aus der „Bohemian Rhapsody“. Erste Gänsehaut!
Später wurde auch das Publikum animiert, mitzusingen. Dafür hatte man uns ein Mitsingliederbuch ins Gepäck mitgegeben. Eine kurze Husche machte dem Publikum nichts aus. „Petrus ist bestimmt auch gerne Sänger auf seiner Wolke“, so meinte in seiner Begrüßungsrede der Präsident des Deutschen Chorverbandes, Christian Wulff, ehemaliger deutscher Bundespräsident. „Wir können also ziemlich sicher sein, dass uns das gute Wetter erhalten bleibt“! Leider behielt er nicht recht. Davon später mehr.
Beim anschließenden Rundgang durch die Altstadt erklingt an jeder Straßenecke Musik jeglicher Art. Ein klingendes, fröhliches Leipzig!
Der Blick am nächsten Tag aus dem Fenster verheißt nichts Gutes. Der Himmel ist bewölkt und es herrscht ein strenger Wind. Um 9 Uhr (!) geht es mit dem Bus zum „Haus Leipzig“, ein besonderer Veranstaltungsort für Musik, Theater u.a., zum ersten Konzert der BL. Das Motto lautet: Leipziger Allerlei mit Goethe. Vincent stellt mit launigen Worten das Programm vor. Interessant zu erfahren, dass der Komponist des „Speisezettels“, Carl Friedrich Zöllner, mit der Komposition eine Wette gewann. Der Saal ist nicht eben übermäßig gefüllt. Das Konzert beginnt mit dem Festgesang „Krönt den Tag“. Der Applaus ist verhalten. Erstmal abwarten, was so ein Männergesangverein aus der Hauptstadt bringen mag. Nach dem „Morgenrot“ spürt man schon mehr Begeisterung. Und beim „Trinklied“ und dem „Speisezettel“ haben die Sänger das Publikum in den Griff bekommen. Es ist begeistert und überzeugt, dass ein Männerchor durchaus seine Qualität hat. Mit dem „Zottelmarsch“ verlassen die Sänger die Bühne, begleitet von viel Applaus und Bravo-Rufen. Gänsehaut die Zweite!
Gleich draußen vor der Tür kommt man wieder Gänsehaut, denn ein eisiger Wind streicht durch die Gassen. Beim Warten auf den Bus fängt es auch noch zu regnen an. Ein Himmelreich für einen Schirm!
Für das Konzert am Völkerschlachtdenkmal Leipzig am Nachmittag haben wir noch Zeit und so mancher streift durch die mit musikalischen Veranstaltungen geprägte Stadt. Trotz Gänsehaut!
Aber es wird noch besser! Um 16 Uhr trifft die Berliner Liedertafel auf den „Männerchor Taucha“, wo ein ehemaliger Liedertäfler, Axel Luz (jetzt Leipziger) Sänger ist. Gemeinsam und allein werden die beiden Chöre in diesem imposanten Gebäude das Konzert bestreiten. Und am Samstag sind wir herzlich eingeladen, mit den „Tauchaern“ ein gemütliches Beisammensein zu feiern, sozusagen als Abschied von Leipzig.
Aber vorher muss noch ein bisschen gearbeitet werden. Und dass die Liedertäfler schon vorab in Berlin einiges an Probenarbeit geleistet haben, das erleben wir nun. Denn jedermann weiß, wie schwierig die Akustik ist in dieser Kuppelhalle, die eine Innenhöhe von 68m hat, wo der Ton sich einfach selbstständig macht. Der Nachhall kann mehr als 10 Sekunden betragen. Man ist also gespannt, wie der Chor diesen Umstand bewältigt. Und wieder – Gänsehaut! Nicht, weil es in dieser gigantischen Ruhmeshalle mit den 10m hohen Totenwächtern, die den altägyptischen Memnonssäulen bei Theben nachgebildet sind, etwas kühl ist, sondern weil der Gesang und der Klang der BL so unglaublich präzise ist. Vincent lässt den letzten Ton einer Zeile durch eine Handbewegung beenden, so dass der Nachhall Zeit hat, zu verstummen, bis der Chor wieder einsetzt. Somit ist ausgeschlossen, dass sich die Töne überlagern und vermischen, und somit der Vortrag unschön wird. Auch die Auswahl der Werke hat Vincent gut gewählt. Beim „Morgenrot“ hat man den Eindruck, als „der himmlische Saal…“ sich öffnet, dass der Ton förmlich in die Kuppel fliegt, um dann beim Piano wieder zurückzukehren. Auch die „Hymne“ von Méhul, das „Jubilate“ und das „Sanctus“ waren genau Werke, die hier hingehörten. Und das „Tebje Pajom“ an diesem Ort – nein, ich sag es nicht schon wieder. Ein Publikum war natürlich nicht eingeplant an dieser Stelle, es war ein Kommen und Gehen, aber Viele blieben und lauschten und waren angetan. Ein Pärchen in meiner Nähe umarmte sich beim „Tebje“ so inniglich, dass ich es nach dem Konzert ansprechen musste. Es stellte sich heraus, dass sie vor kurzem aus der Ukraine geflohen waren!
Das war ein ereignisreicher Tag und, wie wir uns alle einig waren – auch ein erfolgreicher für die Sänger.
Am Samstagabend folgte – wieder bei strömenden Regen – der Kommers beim Männerchor Taucha. Wir wurden köstlich bewirtet mit Speis und Trank. Der Gesang kam nicht zu kurz, es gab viele lustige Einlagen seitens des Gastchores. Dank auch ganz besonders an Axel Luz und seiner Frau, die sich sehr um die Organisation dieses Abends gekümmert haben.
Wie es so ist bei einer Sängerreise, ging der Abend noch lange weiter und die Nacht war kurz. Insbesondere auch, weil es hieß „früh aufstehen“, denn um 10.30 Uhr erfolgte die Gottesdienstgestaltung in der katholischen Kirche St. Laurentius in Leipzig. Das war der Abschluss des Himmelfahrtwochenendes beim Deutschen Chorfest in Leipzig, einer sehr interessanten und kulturell spannenden Stadt!
Nach der Mitwirkung bei dem Gottesdienst (ohne Gänse…) ging es heimwärts mit einem Zwischenstopp zum Mittagessen.