Alle Jahre wieder findet am dritten Advent in der ehrwürdigen Kaiser–Wilhelm–Gedächtniskirche das Adventskonzert der Berliner Liedertafel statt. Diesmal wieder vor fast ausverkauftem Haus. Und doch war dieses Jahr so einiges anders und neu. Zunächst war man über den zügigen Einlass am Eingang überrascht. Es ging ohne Schubsen und Drängeln hinein. Im Innenraum herrschte munteres Treiben und fröhliches Gekicher. Der Grund: Ein Kinderchor war diesmal Gast der Berliner Liedertafel. Der Auftritt der Sänger: Erstaunlich diszipliniert, sehr ruhig – richtig schön.

Nach dem gelungenen Aufruf der Sänger „Herbei, o ihr Gläubigen“ unter dem bewährtem Dirigat von Vincent Jaufmann, begrü.te der Präsident der BL, Raimund Groß, die Gäste und besonders Frau Brickl Schmidt, die Schulleiterin der Wetzlar-Grundschule in Berlin-Buckow, deren Schulchor dieses Mal einen Teil des Konzertes bestritt. Vincent Jaufmann ist auch dessen künstlerische Leiter.

Es folgte das beliebte „Süßer die Glocken nie klingen“, nach dem Raimund Groß den Dirigenten fragte, wie sich das Publikum beim Applaudieren verhalten solle. Worauf Vincent geheimnisvoll meinte: „Später“. Zunächst ging es weiter mit dem Gospel „Go, tell it on the mountain“. Hier spürte man noch viele Unsicherheiten. Der Text war nicht sicher und daher teilweise unverständlich. Der Blick zum Dirigenten – eine Seltenheit. Dafür gelang das „O Tannenbaum“ im Satz von Vincent umso besser. Ich mag dieses Lied eigentlich nicht, es ist zu abgedroschen und als Gassenhauer missbraucht worden („Die Oma hängt am Gartenzaun“!), aber die BL sang es in eindringlicher, zarter Weise. Und nun folgte etwas Neues. Beim „Leise rieselt der Schnee“ übernahmen zwei Tenorstimmen (Bert Miller und Peter Ruttkowski) die Oberstimme, während der Hauptchor im Hintergrund agierte.

Beim nächsten Lied „Vom Himmel hoch…“ sang eine dreistimmige Kleingruppe die beiden mittleren Strophen in Motettenform von Michael Praetorius. Das klang sehr schön und das Publikum honorierte es mit viel Applaus. Das nächste Stück, ein Werk von Leonard Cohen, das weltberühmte „Hallelujah“. Am Beginn etwas schwerfällig, aber nach und nach sicherer, wenn auch nicht ohne Schwächen. Am Klavier begleitete Wolfgang Wedel.

Dann kam die große Überraschung des Nachmittags: Der Schulchor der Wetzlar-Grundschule Berlin, dirigiert von ihrem Lehrer und Leiter, Vincent Jaufmann. Die Wetzlar-Schule ist eine musikbetonte Grundschule im südlichen Neukölln. Über 100 Kinder singen momentan in verschiedenen Chorgruppen, die alle von Vincent geleitet werden. Das Repertoire reicht von Volksliedern bis zu aktueller Popmusik. Der beim Konzert aufgetretene Chor ist aus den Klassenstufen 4 – 6 gebildet.

Bevor die Schüler ihr erstes Weihnachtslied erklingen ließen, bat Vincent Jaufmann (jetzt kommt das „Später“) das Publikum, auf das Applaudieren während der einzelnen Verse zu verzichten, um die Konzentration der Sänger und Sängerinnen nicht zu stören. Dann erklang das „Weihnachten ist auch für mich“, vom Chor ohne Noten (!) und mit Blickkontakt zum Dirigenten wunderbar dargebracht. Der Text wurde durch Gesten unterstützt und es war sehenswert, wie Vincent seine kleinen Akteure beinahe spielerisch motivieren konnte.

Sehr anspruchsvoll und schwierig war das nächste weihnachtliche Stück: „Großer Stern, was nun?“ Die Geschichte vom Stern, der auf die Erde fällt und in ein paar Schwierigkeiten gerät, ehe er zurückkehren kann in den Himmel. Und obwohl Vincent darauf hingewiesen hatte, auf Beifall zu verzichten, erklang derselbe nach dem ersten Vers. Später sagten einige Zuhörer, dass die sprachlichen Beiträge nicht gut zu verstehen waren.

Der zweite Teil des Konzertes begann mit der „Heiligen Nacht“ von Siegfried Borries, immer wieder gern gehört und auch im Piano gut gesungen. Zart ging es weiter mit „Ave Maria zart“ und dem „Es ist ein Ros’ entsprungen“. Beim „Ave Maria (Angelus Domini)“ von Franz Biebl übernahm wieder ein kleiner Chor aus sechs Sängern eine Solopartie. Das klang so super, dass das Publikum spontan mit kräftigem Beifall reagierte. Dann folgten „Zu Bethlehem geboren“ und das berührende „Trommellied“.

Den Abschluss bildete die „Stille Nacht“ (ohne Noten!). Das Finale, bei dem beide Chöre vor dem Altar Aufstellung nahmen, wurde eingeleitet von dem aus zwei bekannten Weihnachtsliedern bestehenden Stück „Alle Jahre kommt der Weihnachtsmann“, in einem Satz vom Leiter der beiden Chöre, Vincent Jaufmann. Dann ertönte das traditionelle „O santissimo“ der Berliner Liedertafel, an der Orgel begleitet von Wolfgang Wedel, in das die Zuhörer der Kaiser – Wilhelm – Gedächtniskirche mit Freuden und in Deutsch einstimmten.

Und soeben, als ich diese Zeilen schreibe, geschieht das Unfassbare und doch schon so lange Befürchtete: Ein Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Kaiser–Wilhelm-Gedächtniskirche, an dem Ort, wo wir eine Woche zuvor ein erfolgreiches Konzert absolvierten und anschließend fröhlich über den Weihnachtsmarkt wanderten! Wie wird man jetzt Weihnachten feiern!?